Es gibt seit Corona eine Gravel-Rennserie, die es auch unter Coronabedingungen möglich macht, sich mit anderen zu messen.
Hä?
Gruppen-Spocht oder gemeinsame Ausfahrten machen fand in 2020 und in Teilen von 2021 nicht statt, weil gefährlich und verboten.
Aus diesem Grund hatten ein paar Leute die Idee, alle Interessierten auf den gleichen Strecken zu individuellen Zeitpunkten gegen sich selbst fahren zu lassen und hinterher die Zeiten zu vergleichen, weil es ja irgendwie kompetetiv sein muss (bei den meisten).
Es wurden in ganz Deutschland Strecken mit den folgenden Eigenschaften ausgekundschaftet:
- es geht viel über Stock und Stein – mit einem Gravelrad (quasi ein Rennrad mit Treckerreifen und meist etwas besseren Haltungsnoten für den Betreiber) oder einem leichten Moutainbike.
- Strassen (so wie in Rennrad oder Auto) gibt es eigentlich nur zum Überqueren oder zum in den nächsten Feldweg abbiegen.
- Die Strecken gehen durchs Grüne, meist durch landschaftlich besonders schöne Abschnitte.
- die Strecken sind Rundkurse
- man kann überall auf dem Rundkurs einsteigen und fährt dann eben wieder bis zu diesem Punkt. Neu in 2021: man darf auch gegen den Uhrzeigersinn fahren 🙂
- die Strecken sind so angelegt, dass entsprechend ambitonierte Radler diese an einem Stück fahren können – von 150 bis 220km.
Diese Art von Rennen sind selfsupported, d.h., es gibt kein Team, kein Begleitfahrzeug, man darf keine Wartungs- oder Fressposten an der Strecke platzieren, man fahrt das eben allein (oder seit 2021 auch zu zweit) und regelt alles, was damit unmittelbar zusammen hängt, selbst.
Das ganze nennt sich als Serie Orbit360 und hat natürlich ne Webseite, eben https://orbit360.cc/ und ist in der Ruckelrad-Szene eingeschlagen wie eine Bombe.
So sehr, dass es zum Ende der Serie richtig in Arbeit ausgeartet ist, die Ergebnisse zu erfassen und auszuwerten – es gibt einen schönen Podcast dazu in der Wundersamen Fahrradwelt.
Anscheinend sind Gravelfahrer etwas individualistischer (lies: Eher nicht in Radsportvereinen organisiert) unterwegs, zugleich bringt genau so eine Organisation alle, die sich irgendwie zur Szene zugehörig fühlen, zueinander. Das ist toll.
Die Strecken (es gibt in jedem Bundesland eine) sind auf komoot zu finden, und da komme ich dann als bekennender Nichtkompetetiver ins Spiel – man kann diese sehr gut gescouteten Strecken natürlich auch ausserhalb des Fensters, in denen es Wertungen gibt, abfahren – zum Vergnügen.
Möchte man an der Wertung teilnehmen, zahlt man (für alle Orbits zusammen, egal, wieviele man fährt) ein geringes Startgeld und muss latürnich exakt auf dem gescouteten Track bleiben, oder wenn man von ihm abweicht, um Einzukaufen, wieder an der gleichen Stelle auf den Track zurückkehren. Im Anschluss lädt man einen eigenen Track hoch, der dann gegen den Master gedifft wird, um in die Wertung zu kommen. Mehr zu den Wertungsdetails und alles andere wichtige gibts auf der Orbit360 Webseite.
Ich will nicht ausschliessen, dass ich da nächstes Jahr auch im Rennzeitraum mitmache, aber dieses Jahr hatte ich kein dafür geeignetes Rad, das hat sich ja nun geändert.
Deswegen bin ich am Freitag mal zur Probe einen Orbit gefahren – Hamburg hat das Glück, gleich drei Orbits zu haben, den Hamburger (logo) und aber auch den schleswig-holsteinischen und den niedersächsischen, und den bin ich gefahren – er geht 5km von unserer Wohnung los.
Mich hat interessiert, wieviel mehr Kraft es kostet, wenn der größte Teil der Strecke keine geschlossene Decke hat (Spoiler: Boah, erheblich), wie das mit den Höhenmetern ist und ob ich das überhaupt bringe.
Also – the Marsian Mountains ~160km, ~1200 Höhenmeter, Ende September mit Tageslicht von grob 07:00 bis 19:00 Uhr, also 12 Stunden Zeit, um das zu schaffen.
Das Wetter war eher so naja – zumindest sollte es nicht regnen. Ich bin kurz vor halb acht losgefahren, erstmal zum Track.
Mein Einstiegspunkt in den Track waren die Harburger Berge, auf breiten, verdichteten und damit gut fahrbaren Waldwegen, aber dafür gings auch schon mal ganz schön hoch und runter, ich hatte gleich hier den höchsten Puls des Tages 🙂
Bare with me, das Haupteinstellrad der Kamera verschiebt sich leider sehr leicht, wenn ich sie aus der Tasche ziehe. Wenn ich auf dem fahrenden Rad sitze und es ruckelt, bemerke ich das nicht immer und dann kommen technisch nicht ganz einwandfreie Bilder wie das oben raus.
Das Wetter war weiterhin so lala, einmal kam die Sonne raus, da musste ich natürlich anhalten und ein Foto machen.
Ein Teil der Wege sind seit dem Scouten für den Track ganz schon zugewachsen, so zum Beispiel hier – da ging dann nur schieben, aber immerhin hab ich kein Wasser in die Schuhe bekommen.
Ich lernte die paar asphaltierten Abschnitte echt schätzen – mal Lenker locker halten oder ganz los lassen und den Körper durchstrecken und einfach locker weiter pedalieren.
Ich mag ja Schutzbleche. Sonst hätte ich deutlich mehr Sand zwischen den Zähnen gehabt und Schmodder überall.
Hier spricht die Sahara – zum Glück mit einem gut fahrbaren Seitenpfädchen. Eigentlich hab ich nix gegen Pferde, aber einige Reiter scheinen echt doof zu sein und mit Vorliebe Wege zu zerreiten, an denen große Schilder mit durchgestrichenen Pferden angebracht sind.
Mein erstes Päuschen – an dieser Hütte konnte ich nach dem ersten Junkeinkauf an einer Tanke nicht vorbei fahren.
Ich musste erst etwas unangemessene Wahlwerbung entfernen, aber dann war es dort ganz schön zum Pausieren (nach etwa 47km).
Ich habe dort einen Vergleichstest durchgeführt zwischen dem Allstar in der Kategorie Salami im Schlafrock Bifi Roll XXL und seinem neuen Herausforderer Vegetarischer Mühlensnack im Teigmantel. Das schreib ich aber noch mal gesondert auf – vorweg nur schon mal, das Rügenwalder dringend an einem schmissigeren Namen arbeiten muss.
Als dann Laub anfing, um meine Laufräder zu wuchern, bin ich weiter.
Bald gab es dann den ersten Heideartigen Blick und auch heideartige Wege.
Diese schmalen, sandigen Wege brauchen viel Aufmerksamkeit, sie sind fast immer gut fahrbar, aber es gibt viele Wurzeln und Löcher und manchmal ziemlich schlecht lesbare Sandflecken.
Je heller der Sand wird, desto größer die Chance, eine spontane Bodenprobe zu nehmen.
Wenn ich mir Zeiten von den ‚richtigen‘ Orbitern ansehe, die hier lang sind, frage ich mich, ob die neben mehr Kraft (sicherlich) auch entweder sehr viel besseres Fahrkönnen, mehr Mut oder einfach nur mehr Stollen am Reifen haben.
Vielleicht bräuchte ich für sowas wirklich ein etwas gröberes Profil auf den Reifen. Lenker entlasten bringt aber schon mal ne Menge.
Ich war absichtlich an einem Freitag unterwegs, ahnend, das auch in der Offseason am Wochenende viele Menschen mit schwer vorhersagbaren Bewegungsmustern unterwegs sein würden.
Season: Die Heide blüht Ende August/Anfang September, dann ist die Heide voller Menschen. Es ist wirklich wunder wunderschön, gerade am sehr frühen Morgen (und bei Sonnenaufgang auch nicht voll).
Es war auch schon an einem Freitag ganz schön was los, ein Wochenende will ich mir dann lieber nicht vorstellen.
Besonders um Attraktionen herum, z.B. eine Herde Heidschnucken und deren sehr traditionell gekleideten Schäfer waren immer Menschen, die dann auch alles andere in der Nähe leicht vergessen.
Die Beweidung mit Schafen (und Ziegen) ist wichtig zur Landschaftspflege in Heidelandschaft, weil die Tiere viele Triebe verbeissen und damit das Nachwachsen von größeren Pflanzen verhindern. Ohne die Herden würde die Heide schnell verbuschen und dann verwalden.
Der Track führt auch am Rande des Möhrer Moores entlang, hier über einen dafür angelegten Steg. Bestimmt geil, wenn es nass ist.
Kurz vor Schneverdingen bin ich vom originalen Track abgewichen und nach Schneverdingen reingefahren, um nach 86km mal wieder eine längere Pause zu machen.
Nach dem wirklich leckeren (kleinen) Dönerteller hab ich mir beim Bäcker nebenan auch noch ein paar Teilchen für unterwegs gekauft und meine Zuckerwasservorräte aufgefüllt.
Das ist der eigentliche Grund fürs Radfahren. Ich nehm gerade ab, aber beim Radfahren verbrenne ich so viel, dass ich sowas ohne Bedenken essen kann 🙂
Gerade Cola – was ich im Alltag gar nicht mag und deshalb meide – ist auf dem Rad super cool. Akku alle, Cola drauf, nach 5 Minuten fühlt man direkt den jungen Gott in sich und holpert den nächste Anstieg mühlos hoch.
Mit mäßig vollem Bauch zurück zum Track – und endlich wieder nordwärts. Inzwischen war es auch schon deutlich nachmittags und mir kamen erste Zweifel, ob ich es auf dem geplanten Track nach hause schaffen würde, ohne im Dunklen durch den Wald fahren zu müssen.
Seit Schneverdingen hatte ich nun Rückenwind, da rauben lose Kieswege, auf denen sich der Kies unter den Reifen bewegt, schon mal weniger Kraft, als wenn man noch deutlich Wind von vorne hat.
Das Scouting ist wirklich super. Die Wege sind abwechslungsreich und schön. Und die Abwechslung macht es auch spannend. Was kommt als nächstes? Gibts mal wieder einen Abschnitt zur Arm-Entspannung, eine Matsch- oder Sandkuhle? Waldautobahn? Kopfsteinpflaster?
DIE Attraktion in der Lüneburger Heide ist natürlich neben dem lila Heideblühen des Heidekrauts der Wilseder Berg, eine Erhebung von ~160m.
Der Weg dort hoch ist im letzten Stück zwar auch steil, aber das eigentliche Problem, mit dem ich gekämpft habe, war der lose Untergrund, auf dem man irgendwie Traktion übertragen muss – ahja, und mit idiotischen Menschen mit Ebikes, die im Weg rumstanden und noch dumme Sprüche machten.
Ich bin unter leichtem, kontinuierlichen Fluchen hochgefahren, die Rohloff machte es möglich.
Das ist übrigens auch meine Kurzzeitdiebstahlsicherung an der Tanke – Rad in den 1. Gang drücken. Wenn damit einer mit dem Rad abhauen will, denkt er, er hat den Leerlauf drin, so absurd gering ist die Entfaltung. Und wie man bei meinem Rad schaltet, ist einem Gelegenheitsmitnehmer auch erst mal nicht klar 🙂
Oben auf dem Berg auf einer Bank sitzend und ein Teilchen verdrückend kommt doch tatsächlich einer von den auf dem Weg Rumstehern an und fragt, was das für ein Motor sei, wo der sei, und wo er den kaufen könnte, und er sei so schön leise.
Hab ihn erst nicht verstanden.
Hab ihm, als ich verstanden habe, dass er das komplett ernst meint, erklärt, dass das hinten in der Nabe das Schaltgetriebe ist, und das vorne in der Nabe ein Dynamo – beides keine Motoren. Hat er mehrfach nicht geglaubt. Hab ihm dann erlaubt, das Rad hochzuheben, damit er das Gewicht der Akkus besser fühlen kann.
Weiter Richtung Heimat, und es wurde schon merklich donkler. Nun gab es ein paar kurze für mich nicht fahrbare Abschnitte – zu tiefer Sand, zu wenig Fahrpraxis damit (und wahrscheinlich wirklich etwas wenig Profil), aber bei dem Sandloch auf dem folgenden Bild hätte mich das auch nicht gerettet, glaube ich.
Zum Glück hab ich auch hier keine Bodenprobe genommen.
Manchmal hab ich mich gefragt, was für ein Sadist sich diesen Track ausgedacht hat. Man keult nen Berg hoch (oder man nähmaschint, je nach Untergrund), und dann kann man nicht mal auf der anderen Seite runter sausen (also ich nicht), weil da ein Sandweg mit schlimmen Wurzeln ist. 🙂
Zum Beispiel geht es einmal über den Brunsberg, knackig hoch und genauso knackig runter. Es gibt da noch zwei weitere Wege, die sahen erstmal flowiger aus. 🙂
Danach hab ich keine Bilder mehr gemacht, es wurde einfach zu schnell dunkel und ich wollte nicht mehr so oft anhalten, ich musste weiterkommen und fertig werden.
Kurbel kurbel kurbel.
Der Körper fühlte sich immer noch ganz gut an – davor hatte ich Schiss, also vor Kontaktstellenaua: Arschweh, Handweh, Fußweh, Schüttelweh. Das war aber ok.
Mein Endgegner war nicht direkt Körper, sondern der (Nicht)Belag der Strecke – das machte mir echt zu schaffen und verlangte trotz zunehmender Müdigkeit viel Konzentration.
Nach einem 5km Stück komplett gerader Waldautobahn hab ich den Originaltrack nach 144km verlassen. Es wurde dunkel, und ich wollte nicht noch weitere Abschnitte über Wurzeln und Sand oder tiefen Kies fahren, weil das im Scheinwerferlicht durch die Schatten zwar gut sichtbar, aber auch durch die Schatten für mich nicht mehr gut lesbar war. Ich hab mich entschieden, zur nächsten Landstrasse zu fahren, und dann auf Radwegen oder Strasse nach hause zu ballern – Kraft hatte ich noch genug.
Interessanterweise ist mein Schnitt auf diesem letzten Abschnitt enorm gewachsen – von im Durchschnitt 16km/h vorher zu einem 19er Schnitt. Der Belag macht echt tierisch was aus, mehr als ich mir bisher eingestanden habe – ok, und rein nach Harburg ging es auch mehr bergab als bergauf, und ich konnte bergab richtig Hafer geben.
Die besten Finisher sind diesen Orbit in etwas über 5 Stunden, also mit einem Durchschnittstempo von 31km/h !! gefahren. Ich glaub, da wäre ich vor Angst gestorben (vor allem Berg runter und beim Beinahe Umfahren von Passanten und Hunden), mal abgesehen davon, dass ich auch auf der Strasse nicht für 5 Stunden einen 30iger Schnitt fahren kann. Vielleicht für eine, und dann ist direkt Licht aus.
Da ist also noch Luft nach oben 🙂
Insgesamt hat mich diese Runde in meinem Tempo sehr glücklich gemacht. Auch sehr durchgeschüttelt (Schüttelschmerz im Winkfleisch!), aber ich weiß nun, dass ich 160km in 12 Stunden mit großzügigen Pausen zum Gucken wegtreten kann, auch wenn die Strecke ruppiger und hügliger ist als ich mir das selbst aussuchen würde.
Heute (einen Tag später) tut mir etwas der tiefe Rücken weh (aber da hab ich eh ne alte Kriegsverletzung) und als ich vorhin ~5km mit dem anderen Rad gefahren bin, hab ich deutlich die Arschknochen gespürt. Auf dem Rad hab ich den gleichen Sattel drauf, hatte aber ne Alltagshose ohne ‚Leder‘ an.
Ich muss dann wohl doch fleissig trainieren und vielleicht auch etwas profiliertere Reifen aufziehen, und dann die anderen Orbit-Tracks hier in der Umgebung wegfahren…
Yay.
Die ganze Tour bei komoot:
Oder als Video (Relive):