Ich dachte, ich probiere mal was neues, letztlich hab ich mein Rad auf schlauchlos umgestellt.
Geschlaucht
Das Rad hat(te) bei Lieferung traditionelle Schläuche in den Laufrädern. Also Butylschläuche, die schwarz-grauen gummiartigen, in Talkum gebetteten, schweren Dinger.
Es gibt seit einiger Zeit auch Schläuche aus Plastik (thermoplastische Elastomere bzw. Polyurethan), Markennamen z.B. Aerothan oder Tubolito. Diese ‚Schläuche‘ sind nach Tests genau so pannensicher wie klassische Schläuche, dafür aber viel leichter (60g gegenüber 160g – mal drei, zwei eingebaute, einen Reserve) und sie nehmen auch deutlich weniger Platz weg, das ist für mich wichtig, weil ich immer mit einem Ersatzschlauch rumfahre.
Also hab ich mir so ein Set gegönnungt (sie sind sehr teuer, nen Butylschlauch kostet etwa 7 Euro, ein Tubolito 25 Euro), und dazu noch passendes Flickzeug.
Die Montage fand ich schwierig, die sehr dünnen Schläuche neigen dazu, sich zwischen Felge und Mantel einzuklemmen, auch wenn man sie leicht aufpumpt (zu sehr aufpumpen darf man sie ohne schützenden Mantel nicht). Es mag sein, dass das meine Kombi Reifen/Felge besonders eng ist, um die zweite Flanke des Reifens komplett auf die Felge zu bekommen, brauche ich wirklich drei Reifenheber, muss den Schlauch wieder entlüften und den Reifen komplett in die Mitte der Felge drücken, um ihn gegenüber über den Rand zu bekommen, da ist ein sehr dünner Schlauch, der immer wieder ins Sichtfeld gerät (er ist knallorange, das ist mal ein Vorteil), ein Problem.
Störend finde ich auch, dass man keine Mutter über den Ventilschaft drehen kann, um das Ventilloch etwas abzudichten und das Ventil im Loch zu halten, und dass die Ventilschäfte knallorange sind – was ich aber aus Marketinggründen verstehen kann.
Ich bekomme meine Mäntel unabhängig vom verwendeten Schlauch auch nur mit über 5bar in die Position auf die Felge, in die sie müssen – hinterher lasse ich die Luft dann wieder ab.
Leider haben sich die Plastikdinger für mich überhaupt nicht bewährt, seit dem Wechsel hatte ich in unter 600km vier Platten, davon drei an einem Tag.
Der erste (nach 210km Nutzung) war wahrscheinlich eine Folge falscher Montage/Einklemmens, erstens hab ich an der Stelle keinen Durchstich im Mantel gefunden und zweitens war das Loch schon ziemlich an der Flanke und nicht mitten in der Lauffläche.
Dann am Ostermontag gleich drei hintereinander, da hilft dann auch der Ersatzschlauch nicht so richtig weiter. Ich habe nur einmal was im Mantel gefunden, aber alle Löcher waren an (unterschiedlichen) Stellen der Lauffläche zugewandt.
Das richtig beschissene: Das passende Flickenset braucht 30 Minuten(!) zum Trocknen. Man muss also beim ersten Plattfuss nach dem Wechseln des Schlauches gegen den Ersatzschlauch den kaputten direkt flicken, sonst macht man gleich ne längere Pause. Zum Glück war hier tolles Wetter, bei Kälte oder Regen hätte ich im Strahl mit Brocken gekotzt.
Und durch das bei meinen Felgen notwendige Gewürge beim Reifen wieder montieren und dann das Aufpumpen auf Maximaldruck, um den Reifen an die richtige Stelle der Felge zu bekommen, ist das echt anstrengend, obwohl meine Unterwegspumpe ne Standpumpe und nicht so eine Fitzelpumpe oder CO2-Kartusche ist. Haha! Kartusche ist bestimmt schon beim zweiten Plattfuss toll!
Naja, das reicht mir dann erstmal als Erfahrung. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Mäntel schon so weit runter sind, dass mir das auch mit Butylschläuchen passieren würde, abgesehen davon war keiner der Platten ein Schleicher, sondern immer ein sehr schneller Druckverlust innerhalb vielleicht 10 bis 15 Sekunden, auch nicht schön, wenn man gerade bergab orgelt.
Schlauchlos
Die Felgen und Mäntel an meinem Rad können allerdings auch schlauchlos betrieben werden – so wie beim Auto schon ewig üblich. Die Mäntel sitzen so eng auf der Felge, dass die Verbindung luftdicht wird, wenn man das richtig anstellt.
Schlauchlos ist seit ein paar Jahren der geile Scheiss und schwappt aus der Mountainbikewelt übers Allroad/Graveln sogar bis in die konservative Rennradwelt herüber, weil man neben höherer Pannensicherheit und geringerem Gewicht auch mehr Komfort bekommen kann.
Ein paar vor 30 Jahren in Granit gemeisselte Grundannahmen über Fahrradreifen, deren Aufstandsfläche, Breite, Walkverhalten, hohen Druck für leichtes Abrollen und so weiter haben sich nebenbei als falsch herausgestellt.
Inzwischen sagen das nicht nur ein paar Spinner, die nebenbei eher teure Reifen verkaufen, sondern ist allgemein gültig: Ein niedriger Luftdruck macht Dich nicht langsamer, ein höherer vor allem nicht schneller, aber schneller müde. Das gleiche gilt auch für breitere Reifen – diese sind nicht generell langsamer als schmale. Durch das ständige harte, quasi ungefederte Ruckeln über jede Unebenheit sorgen schmale, hart aufgepumpte Reifen für starke Komforteinbußen und damit auch für schnellere Ermüdung.
Ein tolles Buch dazu: Ein Rad für Alles, Rene Herse.
Besonders abseits von super glatten Asphaltstrassen macht sich das bemerkbar, man fährt inzwischen eher niedrigere Drücke und breitere Reifen als noch vor 10 Jahren, ich z.B. bisher so 2,75bar bei 40mm Reifenbreite, nicht 12bar auf 23mm.
Mit einem Schlauchlos-System kann man noch mal geringere Drücke fahren, weil die Gefahr, bei Durchschlägen den Schlauch zwischen Mantel und Felge zu beschädigen (snakebites), wegfällt. Das ist besonders im schweren Gelände wichtig, weil es mehr Traktion gibt, aber nicht so sehr bei meiner Fahrweise. Ich fahre zwar gerne auf ungeteertem Untergrund, aber eben trotzdem meist auf Wegen.
Schlauchlos fahren hat allerdings auch Nachteile:
- Die Dichtigkeit wird durch Dichtmilch (etwa zwei Schnapsgläser pro Laufrad) unterstützt, muss man eine Reifen/Felge-Kombi öffnen, geht das nicht ohne Sauerei ab
- Die Erstmontage benötigt oft mehr Luftdruck, als eine normale Standpumpe liefern kann. Das, was bei mir der Schlauch unter sehr hohem Druck schafft, und zwar den Mantel in die richtige Position auf der Felge zu drücken, muss durch einen kurzen, aber kräftigen Luftstoss bewältigt werden, ohne das ein Schlauch die ausgestossene Luft auffängt. Im Feld bekommt man das nicht hin, da hilft, wenn man den Reifen erstmal von der Felge gezogen hat, nur noch einen Ersatzschlauch einzuziehen und den Reifen damit wieder in Position zu bekommen.
- Die Dichtmilch muss regelmäßig ergänzt/erneuert werden, weil sie langsam aushärtet
Diese Argumente haben mich bisher davon abgehalten, das auszuprobieren. Aber nu hab ich die Faxen dicke, und will sehen und mich da noch mal reingelesen (z.B. beim Radelmädchen oder beim Velonerd) und dann hab mir noch am Ostermontagabend eine Pumpe mit einem Booster (Druckluftbehälter zur Schnellentleerung), entsprechende Ventile, Dichtmilch und ein Reparaturset bestellt.
Die Dichtmilch hat nicht nur die Funktion, das bestehende ‚Gefäss‘ aus Reifen und Felge abzudichten, sondern vor allem neue Löcher direkt im Entstehen zu verschliessen. Das funktioniert angeblich so gut, dass man kleinere Löcher gar nicht direkt bemerkt – höchstens, weil ein weisser Fleck an der Lauffläche auftaucht.
Größere, sich nicht selbstabdichtende (ab so 3 mm) Löcher werden von aussen geflickt, ähnlich wie bei Autoreifen. Dazu wird eine klebrige Gummiwurst in das Loch gestopft, eventuell etwas Dichtmilch aufgefüllt und wieder aufgepumpt.
Wenn das nicht reicht, dann hilft es nur noch das Loch von innen abzudecken und einen Schlauch einzuziehen. Dafür dann wieder einen Tubolito im Gepäck zu haben, ist wegen des geringen verbrauchten Platzes sehr verlockend, die nervige Montage bleibt – also eher nicht, Tim.
Umbau
Heute (Freitag) sind alle bestellten Teile angekommen.
Also – Rad auf den Kopf (ich hab nen Montageständer, aber zum Rausnehmen der Laufräder finde ich es praktischer das Rad auf den Kopf zu stellen), Läufräder raus, Luft raus, Mantel vom Felgensitz in die Mitte drücken, eine Seite über das Felgenhorn würgen, Schlauch raus.
Begutachtung des vorhandenen Felgenbands. Sieht eigentlich gut aus, das sollte luftdicht sein. Also mal so ein Schlauchlosventil in die Felge gepopelt, Mantel wieder zu.
Dann die neue Boosterpumpe aufpumpen – das ist eine Standpumpe mit einem eigenen Tank. Man kann diesen Tank wie einen Reifen aufpumpen und dann den Druck auf einen Schlag ablassen.
Teuer, aber auch geil. Es gibt sowas aber auch als Selbstbauprojekt oder einfach als separaten Tank, da berichten aber viele, dass dann der Tank und die daran angeschlossene Pumpe durch Kopflastigkeit ständig umkippen und durch die Gegend kollern. Ausserdem haben wir ab jetzt zwei Standpumpen und müssen die bisherige Standpumpe nicht mehr ständig vom Keller (wo die anderen Räder stehen) und der Wohnung (Werkstatt) hin und her schleppen.
Schlauch an das Ventil anschliessen, und mal 8bar schlagartig in den Reifen lassen. Das ist ein tolles Geräusch – der Reifen springt geradezu in seinen Sitz, es knackt ein paar Mal – fertig. 8bar sind auch gar nicht nötig, wie sich bei weiteren Versuchen zeigt, 5bar sind auch ok.
Und irgendwo entweicht Luft. Das kommt doch aus den Speichenlöchern…
Nicht aus allen, aber aus ein paar.
Ok, Mantel noch mal runter, und doch das vorhandene Felgenband überkleben (jetzt weiß ich auch die richtige Breite für die nächste Bestellung Felgenband, dann kann ich auch das da drunter vorher rausreissen).
Um das richtige Felgenband toben in den Bewertungsspalten der Versender Glaubenskriege, die an Editorwars erinnern. Und Bohle (Handelsname Schwalbe) ist eh der TEUFEL!!!!1
Also alles so wie immer, ich hab ja auch meine Lieblingshersteller 🙂
Mantel wieder drauf friemeln, und noch mal. Flump – peng – knack. Und kein Zisch mehr.
Yay. Das war ja einfach. Ich dachte, ich muss das ewig probieren und rausfinden, wie es wirklich geht.
Ok, Luft wieder raus, Ventileinsatz mit einem Spezialschlüssel rausdrehen, Dichtmilch durchschütteln und dann 60ml davon in den Reifen kippen.
Der Spezialschlüssel ist so speziell, dass ich davon jetzt 6 Stück habe. Bei der Dichtmilch, bei den Ventilen und bei der Boosterpumpe waren welche dabei, einen hab ich so bestellt (Idiot, ich), zwei weitere unterschiedliche hatte ich in der Luft/Schlauch/Ventil-haben-ist-besser-als-brauchen-Fummeltüte rumliegen ohne genau zu wissen, wie spezial der eigentlich ist.
Ventileinsatz wieder rein drehen, normal aufpumpen, Laufrad etwas drehen, über dem Kopf hin- und her schwenken (man findet Foreneinträge, in denen frisch bemilchte Läufräder noch rituell 30 Minuten auf die Seite gelegt werden), dingsda – Laufrad wieder einbauen.
Dann das gleiche noch mal mit dem zweiten Laufrad. Insgesamt hab ich ne gute Stunde gebraucht – dann aufräumen:
Und dann noch die Dichtmilch durch eine rituelle Kurz-Fahrt durch die nähere Umgebung schön in den Laufrädern verteilen.
Ich muss jetzt noch mein Pannenset umstellen.
Neben dem oben beschriebenen Wurst-Ins-Loch-Friemelset hab ich dann wieder nen Butyl-Schlauch für richtig schlimme Fälle, Flicken dafür, einen Flicken für den Mantel von innen (wenn man den Schlauch einziehen muss, weil die Würste es nicht bringen, guckt ja auch schnell der Schlauch aus dem Mantel, oder?) und eventuell auch etwas Dichtmilch in der Satteltasche.
Wie ist das eigentlich, wenn man wirklich nen Schlauch braucht? Muss man dann erst stundenlang alte, längst verheilte Durchstiche in der Decke auf Splitterreste untersuchen und die dann rauspolken? Sonst ist der Schlauch ja auch gleich wieder hin?
Und ich muss mal rumhören, ob es nötig ist, Dichtmilch durch die Gegend zu fahren – wenn Ihr das wißt, oder auch nur ne unfundierte Meinung dazu habt: Schreibt es gerne in die Kommentare – und überhaupt – lasst Euer reichhaltiges Wissen gerne hier!
Aja, zumindest die Dichtmilch von Schwalbe (Doc Blue), die von Stans hergestellt wird, stinkt nicht schlimm nach Amoniak.
Update vom 11.05.2022
Die Spaßvögel von Enjoyyourbike haben sich mit de Thema Schlauchlos beschäftigt. Sie zeigen alle wesentlichen der Montagepunkte und sie testen auf selbst gegossenen Nagelbrettern. Etwas lang, trotzdem sehenswert. Großer Test: WTB TCS 2.0 Tubeless Tire Sealant Reifen-Dichtmittel / Pannensicherheit & Installation.
Moin Aleks,
Danke für diesen Beitrag! Ich lese deinen Blog schon länger und will mal virtuell Danke sagen und positives Feedback da lassen. Schönes Rad haste!
Der Beitrag war für mich der letzte Schubs, um es am Gravel endlich mal anzugehen. Die letzte Tour mit drei Platten hat mich echt geschlaucht. (Inspiriert durch deine Hanse Gravel Route hab ich eine Rundstrecke zum Zelten gebaut).
Viele Grüße aus der City
Simon
Das ist schön zu hören 🙂
Danke für deinen Kommentar,
Aleks
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